Erscheint in: Batinic, B. (Hrsg.) (1997). Internet für Psychologen. Göttingen: Hogrefe.

11 Das psychologische Experimentieren im Internet



Ulf-Dietrich Reips
Psychologisches Institut der Universität Tübingen
E-Mail: ulf.reips@uni-tuebingen.de

11.1 Vorüberlegungen

Das Internet ist von Psychologen bisher in erster Linie als Informationsquelle verstanden worden (Kelley-Milburn & Milburn, 1995). Eine weitere Nutzungsmöglichkeit besteht in der Datensammlung, die entweder über die Beobachtung von Kommunikationsströmen (s. Hewson, Laurent, & Vogel, 1996), mittels "weicher" Methoden wie Umfragen (s. Batinic, dieser Band) oder als "harte" Experimentalforschung erfolgen kann. Diesem letzten Aspekt ist das vorliegende Kapitel gewidmet.
Obgleich zwar prinzipiell auch über andere Internetdienste Experimente durchgeführt werden können, hat sich faktisch das World Wide Web (WWW, oder Web), der graphische Teil des Internets, als Medium der Wahl für das Experimentieren im Internet durchgesetzt [1]. Dieses Kapitel bezieht sich deshalb terminologisch überwiegend auf Web-Experimente, also Experimente, die im World Wide Web durchgeführt werden. Die Inhalte lassen sich aber meist auch auf das Experimentieren mit anderen Internetdiensten übertragen.
Web-Experimente sind ein sehr junges Werkzeug der Experimentalforschung, dessen Reliabilität noch nicht geklärt ist, das aber großes Potential zu besitzen verspricht. Wie sich zeigen wird, ermöglichen die schnelle Entwicklung und weite Verbreitung des WWW eine ganz neue Forschungsmethodik, die die Überwindung einiger der bisherigen Grenzen psychologischer Forschung zu relativ niedrigen Kosten bedeuten könnte.
Web-Experimente unterscheiden sich grundsätzlich von Labor- und Feldexperimenten, die traditionellerweise in der Psychologie durchgeführt werden [2]. Dieses Kapitel soll einen Überblick über die Vor- und Nachteile von Web-Experimenten geben, die wesentlichen Komponenten eines Web-Experiments beschreiben und anhand eines Beispiels aus einem "Virtuellen Psychologielabor" (Reips, 1995) die konkrete Umsetzung eines Forschungsvorhabens in das neue Medium WWW verdeutlichen.
Eine methodische Diskussion des Web-Experimentierens im Rahmen dieses Kapitels zeigt - teils in Abhebung von den Nachteilen der laborexperimentellen Methode - einige der Vorteile von Web-Experimenten: (1) leichte Erreichbarkeit eines zahlenmäßig und geographisch fast nicht begrenzten Versuchspersonenpools, in dem auch Versuchspersonen aus sehr spezifischen und bisher nicht zugänglichen Zielgruppen sind; (2) das Experiment kommt räumlich zur Versuchsperson anstatt umgekehrt; (3) die hohe statistische Power durch eine große Stichprobengröße erlaubt das Beibehalten eines konventionellen a-Niveaus; und (4) reduzierte Kosten, da weder Versuchsräume noch anwesende Experimentatoren gebraucht werden. Problematische Aspekte von Web-Experimenten und mögliche Lösungen werden ebenfalls betrachtet.



[1] Als Beleg hierfür mag dienen, daß sich von zehn Beiträgen unter der Rubrik "Internet Experiments" auf der Konferenz der SCiP (Society for Computers in Psychology) 1996 nur zwei nicht auf das WWW bezogen - einer mit einer e-mail- und einer mit einer MUD (Multi User Domain)-Experimentiertechnik. Das Programm der SCiP 1996 findet sich im WWW unter http://psych.hanover.edu/SCiP/sciprg96.html
[2] Auch wenn das Feldexperiment eine ideale Methode darstellt, um interne und externe Validität zu maximieren (Bortz & Döring, 1995, S. 57), so wird es doch recht selten in der psychologischen Forschung eingesetzt. Der Grund hierfür scheint unter anderem in den relativ hohen Kosten der Feldforschung zu liegen.